Umsatzsteuer; Lieferung bei Betrugsabsicht des Lieferers

Umsatzsteuer; Lieferung bei Betrugsabsicht des Lieferers

Mit seinem Urteil V R 43/10 vom 8. September 2011, BStBl II 2014 S. XXX[1], hat der BFH entschieden, dass es dem Vorsteuerabzug aus einer Lieferung i. S. v. § 15 Absatz 1, § 3 Absatz 1 UStG nicht entgegensteht, dass der Lieferer zivilrechtlich nicht Eigentümer des Liefergegenstands ist und darüber hinaus beabsichtigt, den gelieferten Gegenstand vertragswidrig nochmals an einen anderen Erwerber zu liefern.

I. Lieferung bei Betrugsabsicht des Lieferers Umsatzsteuerrechtlich gilt jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die eine andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen als sei sie sein Eigentümer, als Lieferung, ohne dass es dabei auf eine Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen kommt (vgl. Artikel 14 Absatz 1 MwStSystRL, Artikel 5 Absatz 1 der 6. EG-Richtlinie). Eine Lieferung liegt also vor, wenn die Verfügungsmacht an einem Gegenstand verschafft wird (§ 3 Absatz 1 UStG). Die Verschaffung der Verfügungsmacht beinhaltet den von den Beteiligten endgültig gewollten Übergang von wirtschaftlicher Substanz, Wert und Ertrag eines Gegenstands vom Leistenden auf den Leistungsempfänger (Abschnitt 3.1 Absatz 2 Satz 1 UStAE). In einem besonders gelagerten Einzelfall hat der BFH das Vorliegen einer Lieferung auch bei Betrugsabsicht des Lieferers bejaht. Der Lieferant habe zwar in betrügerischer Absicht gehandelt, der Erwerber hätte jedoch aufgrund der objektiven Umstände nicht gewusst oder wissen können, dass er mit seinem Erwerb in eine Umsatzsteuerhinterziehung oder einen Betrug anderer Art eingebunden war. Der Annahme einer Lieferung stehe auch nicht entgegen, dass derselbe Gegenstand durch den Lieferanten in betrügerischer Absicht mehrfach veräußert wurde, da die der Verschaffung der Verfügungsmacht zugrunde liegenden Vereinbarungen auf eine Übertragung des Gegenstands an den Erwerber gerichtet waren. Ebenso wenig stehe es einer Lieferung entgegen, wenn der Lieferer im Zeitpunkt der Übertragung des Gegenstands an den Erwerber ggf. die – gegenüber dem Erwerber nicht offengelegte – Absicht hat, diesen Gegenstand durch weitere Übereignungen an andere Erwerber zu unterschlagen. Denn die Absicht einer späteren Unterschlagung sei für die nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Lieferung maßgebliche Beurteilung unerheblich.

II. Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers bei Betrugsabsicht des Lieferers Voraussetzung für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ist u. a., dass eine entsprechende Leistung durch einen anderen Unternehmer für das Unternehmen des Leistungsempfängers ausgeführt wurde. Nach den maßgebenden Beweisregeln trägt der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die Feststellungslast für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen. Dies gilt grundsätzlich auch für das Wissen oder Wissen können vom Tatplan eines Vorlieferanten, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass der Umsatz in einen vom Lieferer oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer begangenen Betrug eingebunden war. Werden diese objektiven Umstände durch das Finanzamt rechtlich hinreichend nachgewiesen bzw. substantiiert vorgetragen, obliegt es im Rahmen der Feststellungslast dem Unternehmer, dies zu widerlegen. Hierzu muss er die Feststellungen des Finanzamts durch substantiierte Argumente und Beweise entkräften. Das bedeutet, dass er nachweisen muss, dass er alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftiger-weise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug (sei es eine Umsatzsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug), einbezogen sind. Zu den vom Leistungsempfänger zu ergreifenden Maßnahmen gehört neben anderen insbesondere z. B. die dokumentierte Vergewisserung über die Unternehmereigenschaft des Leistenden (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 2007, V R 61/05, BStBl 2008 II S. 695; Abschnitt 15.2 Absatz 15 Satz 5 UStAE). Des Weiteren kann die Nichtaufzeichnung einer üblicherweise – u. a. zur Identifizierung der Ware bei Rücklieferung und in Garantiefällen – in der Lieferkette weitergegebenen Geräteidentifikationsnummer ein Indiz für eine nicht ausgeführte Lieferung und dafür sein, dass der Unternehmer wusste oder wissen konnte oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt war, der in einen Umsatzsteuerbetrug oder einen sonstigen Betrug einbezogen war (vgl. BMF-Schreiben vom 1. April 2009, BStBl I S. 525). Im Fall einer Lieferung bei Betrugsabsicht des Lieferers kann ein Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers daher nur nach Prüfung des konkreten Einzelfalles in Ausnahmefällen in Betracht kommen.

III. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird in Abschnitt 3.1 Abs. 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 864, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 6. Februar 2014 – IV D 2 – S-7200/07/10012 (2014/0107980), BStBl I S. xxx, geändert worden ist, nach Satz 4 folgender Satz 5 angefügt:

„5Zu Ausnahmefällen, in denen der Lieferer zivilrechtlich nicht Eigentümer des Liefergegenstands ist und darüber hinaus beabsichtigt, den gelieferten Gegenstand vertragswidrig nochmals an einen anderen Erwerber zu liefern, vgl. BFH-Urteil vom 8. 9. 2011, V R 43/10, BStBl II 2014 S. XXX.“

IV. Anwendungsregelung Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht. BMF v. 7.02.2014

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